Streichs Kniffe und die große Erleichterung

Bei seiner acht Spiele währenden Abschiedstournee will sich Christian Streich so gut es geht aufs Wesentliche konzentrieren und natürlich erfolgreich sein. Das klappte beim 3:0 in Gladbach auf Anhieb – auch wegen seiner Kniffe bei ungünstigen Voraussetzungen.

Freiburg gewann Spiel eins bei Christian Streichs Abschiedstour - zur Freude des Trainers.

Freiburg gewann Spiel eins bei Christian Streichs Abschiedstour – zur Freude des Trainers.

IMAGO/Steinsiek.ch

Von Natur aus sei er dem Pessimismus näher als dem Optimismus. Das hat Christian Streich schon öfter erklärt. So war es auch vor dem Spiel in Gladbach – dem ersten seiner acht Partien währenden Abschiedstournee. Zur Grundhaltung gesellte sich ein aktueller Anlass.

In Person von Matthias Ginter (Achillessehnenbeschwerden), Philipp Lienhart (Knieprobleme), Roland Sallai (Adduktorenblessur) und Noah Weißhaupt (Sprunggelenksprobleme) war Streich in der Länderspielphase die Stamm-Innenverteidigung, eine Offensivsäule sowie eine wichtige Option für die Außenbahn weggebrochen.

Wir haben zu viele Verletzte“, konstatierte Streich auch nach dem Spiel in Gladbach, konnte aber vor allem festhalten: “Es lief alles für uns. Wir hätten in der ersten Hälfte auch ein, zwei Tore nach Standards kriegen können. Insgesamt hat die Mannschaft ein tolles Spiel gemacht, ich bin überglücklich.”

Hinten wie in Lens – taktische und personelle Kniffe gehen auf

Das lag auch an den personellen wie taktischen Kniffen, mit denen Streich und sein Stab auf die Verletztensituation reagiert haben. Hinten nominierten sie erstmals seit sieben Spielen, in denen meist eine Mischform dominierte, wieder eine klare Dreierkette – mit dem gelernten Sechser Yannik Keitel als Mittelmann zwischen Innenverteidiger-Routinier Manuel Gulde und dem etatmäßigen Rechtsverteidiger Lukas Kübler.

Beim Hinspiel der Europa-League-Play-offs in Lens (0:0) hatten sie mit dieser Variante noch komplett überrascht, defensive Stabilität war der Lohn. Beim folgenden 3:3 gegen Frankfurt klappte es hinten mit dem Trio nicht mehr ganz so gut, in Gladbach war diese Dreier-Combo nun wieder ein Garant für die erfreuliche Null.

Sonderlob für ein Trio mit viel Energie

“Wir haben lange überlegt zwischen Vierer- und Dreierkette und haben gedacht, Merlin Röhl mit seiner Power, Yannik Keitel und Lukas Kübler würden uns guttun. Ich hatte das Gefühl, wir müssen Körperlichkeit und Athletik auf den Platz bringen”, erläuterte Streich seine Personalwahl, die sich auszahlte: “Die drei haben ein tolles Spiel gemacht. Wir sind belohnt worden, dass wir die Jungs aufgestellt haben, die so viel Energie reingebracht haben.”

U-21-Nationalspieler Merlin Röhl hatte allerdings schon beim 2:3 gegen Leverkusen in der Startelf gestanden. Neben Maximilian Eggestein, der nach Gelbsperre zurückkehrte, war ansonsten noch Michael Gregoritsch neu dabei. Der österreichische Nationalstürmer war zuletzt oft nur eingewechselt worden – und traf prompt zum wichtigen 1:0. Das gelang Gregoritsch schon zum zehnten Mal bei insgesamt 16 Bundesligatoren für den SC.

Wieder eine bittere Pille für Szalai

Neben den verhinderten Ginter und Sallai mussten Top-Scorer Vincenzo Grifo und Verteidiger Kiliann Sildillia aus der Anfangsformation weichen. Die Dreierketten-Besetzung war zudem erneut eine bittere Pille für den erst im Winter aus Hoffenheim geliehenen Innenverteidiger Attila Szalai. Der ungarische Nationalspieler steht nach unglücklichen Jokerauftritten zum Start in Bremen und Dortmund bei Streich und Co. nicht hoch im Kurs, wurde in Gladbach nach zuvor neun Partien ohne Einsatzminute allerdings bei der 3:0-Führung als erster Profi eingewechselt.

Somit dürfte auch Szalai, der ohnehin von Streich vorige Woche für sein gutes Verhalten trotz persönlich unbefriedigender Situation gelobt wurde, ein positives Grundgefühl aus Gladbach mitgenommen haben. Bei Streich, der bei den Toren kaum gejubelte hatte, kamen nach der Partie mehrere Gefühle zum Ausdruck.

Mehrere Gefühle bei Streich

Zum einen gab es die abermalige Bestätigung für seine Rückzugsentscheidung, die vor allem auch wegen der erstmals mit Nein beantworteten Kraftfrage so ausgefallen war. “Ich merke, die Anspannung und diese Energie bei diesen Spielen ist extrem. Da habe ich die letzten Jahre einiges liegen gelassen”, sagte Streich in Gladbach.

Ansonsten dominierten Freude – und Erleichterung, schließlich möchte sich der ehrgeizige SC-Trainer möglichst erfolgreich verabschieden: “Ich bin wahnsinnig froh, dass die Jungs es schaffen, in Gladbach zu gewinnen. Es wäre schon mein großer Wunsch, wenn wir in den letzten Spielen den einen oder anderen Punkt holen, um es ordentlich zu Ende zu bringen. Wünschen hilft ja nicht immer, die Leistung muss stimmen. Die Mannschaft hat es toll gemacht.”

Den Auftakt der Abschiedstournee hätte er sich kaum schöner wünschen können. Ob jetzt in den kommenden Wochen mehr Optimismus bei ihm einfließt, bleibt allerdings abzuwarten.

Carsten Schröter-Lorenz

Streich: “Ich kann mich nicht in ein Loch verkriechen”

Vor seinen finalen acht Spielen als Freiburger Cheftrainer verriet Christian Streich, wie er seinen Abschied am liebsten verkündet hätte und mit welchen Erwartungen und Befürchtungen er dem Saisonendspurt entgegenblickt. Der wird durch neue Personalsorgen erschwert.

Christian Streich hört zum Saisonende als Trainer des SC Freiburg.

Christian Streich hört zum Saisonende als Trainer des SC Freiburg.

DeFodi Images via Getty Images

“Wenn ich ganz ehrlich sein soll, wäre ich am liebsten nach dem letzten Spiel bei Union Berlin zu euch gekommen und hätte gesagt: Ich wünsche euch alles Gute, macht’s gut, Dankeschön vielmals. Und wäre von dannen gezogen”, sagte Streich auf der Pressekonferenz am Donnerstag in Richtung Medienvertreter. “Das ist nicht ganz möglich und deshalb nicht ganz ohne, aber es ist so zu leisten”, verriet Streich, dass sein angekündigter Abschied nach dann zwölfeinhalb Jahren als Chefcoach und 29 Jahren als SC-Trainer im Saisonfinale naturgemäß zumindest seine Gefühlswelt in einigen Momenten verändern werde.

Inklusive der internen Nachfolgeregelung mit dem aktuellen Verbindungstrainer Julian Schuster, der unter Streich sechseinhalb Jahre Kapitän war, bezeichnete der 58-Jährige die Abläufe um die bevorstehende Zäsur auf dem Cheftrainerposten als “fast perfekt”. Auch wegen der Gelegenheit, im Gegensatz zu den meisten anderen Trainern den Zeitpunkt für das Ende seiner Amtszeit selbstbestimmt gewählt haben zu dürfen, sei er “dankbar und zufrieden”. Wie er dann ab Sommer mit dem Wegfall seiner täglichen Routinen klarkommen werde? “Da muss ich selbst erst schauen, wie ich damit umgehe”.

“Priorität gut kicken” – jüngster Trend mit Gegentorflut verheißt aber nichts Gutes

Jetzt stehe zunächst einmal etwas anderes im Mittelpunkt: “Die absolute Priorität sollte sein, dass wir gut kicken.” Natürlich will sich Streich im Rahmen seiner acht Abschiedsvorstellungen so erfolgreich wie möglich verabschieden. Der jüngste Trend beim SC verheißt allerdings nichts Gutes. Von den vergangenen acht Ligaspielen konnte Freiburg nur die Auswärtspartien in Bochum (2:1) gewinnen, holte ansonsten nur zwei Remis, verlor fünfmal.

Aktuell rangiert das Streich-Team als Neunter aber nur zwei Punkte hinter dem 7. Platz, der bei einem Leverkusener Pokalsieg ein Ticket für die Europa Conference League und somit einen Freiburger Europacup Hattrick bedeuten würde. Ein lohnenswertes Ziel, das Streich so aber nicht formuliert: “Wir können 13. oder 14. werden, aber wenn alles perfekt läuft, können wir auch vor dem Neunten sein. Das wäre extrem erfreulich.”

Beide Stamm-Innnenverteidiger fehlen – erneut Abwägung bei Ginter

Was auf den ersten Blick wie typisches, übertriebenes Freiburger Understatement nach den Plätzen 5 und 6 sowie zwei Teilnahmen am Europa-League-Achtelfinale in Serie klingt, hat aus Streichs Sicht einen aktuellen Hintergrund. Den SC-Trainer plagen zum Ende der Länderspielphase nämlich neue Personalsorgen. In Person von Philipp Lienhart (Knieprobleme) und Matthias Ginter (Achillessehnenbeschwerden) muss Streich am Samstag in Gladbach gleich auf beide Stamm-Innenverteidiger verzichten.

Bei Lienhart hat sich ein Ausfall durch seine Abreise vom österreichischen Nationalteam abgezeichnet. Immerhin habe sich dessen Knie inzwischen beruhigt. Und bei Ginter müsse man wie vor einigen Wochen erneut “schauen, wie es sich entwickelt”, sagte Streich: “Es sind mehrere Ärzte involviert, die sich absprechen und ihre Expertise erstellen. Es ist zwischendrin beim ‘Gintes’. Kriegen wir es konservativ hin, oder müssen wir eine andere Lösung suchen.” Was wohl eine Operation bedeuten würde.

Auch Weißhaupt fällt aus, Sallai angeschlagen

Im Abwehrzentrum herrschen also nicht gerade ideale Voraussetzungen, um die Gegentorflut der vergangenen Wochen mit dem ligaweiten Rückrunden-Tiefstwert von 22 Einschlägen und etwa dem 0:5 bei West Ham United einzudämmen. Zudem wird auch Außenbahnspieler Noah Weißhaupt (Sprunggelenksblessur) in Gladbach ausfallen und die zuletzt wertvolle Offensivkraft Roland Sallai (Adduktorenprobleme) kehrte angeschlagen vom ungarischen Nationalteam zurück – Einsatz gefährdet.

“Wir haben gerade genug Probleme, ich bin mit den Verletzten beschäftigt”, sagt Streich und will versuchen, den sicher noch zunehmenden öffentlichen Fokus auf seine Person so gut wie möglich von der Mannschaft fernzuhalten: “Das hat nicht die Relevanz, sondern Relevanz hat, ob wir gut kicken.”

Fernhalten des Rummels wird schwierig: “Ich hocke ja auf der Bank …”

Das ihm das mit dem Fernhalten und dem Ausblenden des Rummels um seine Abschiedstournee nicht ganz gelingen wird, ist Streich allerdings bewusst: “Ich hocke ja auf der Bank, ich kann mich nicht in irgend so ein Loch verkriechen und das Spiel läuft trotzdem. Das geht nicht. Also stellt man sich dem.”

Ein reiner Genuss, wie es ihm von einigen Leuten nahegelegt und gewünscht wurde, werde die Abschiedstournee wohl nicht. “Ich genieße jedes Bundesligaspiel. Aber in dieser Situation ist es so eine Sache mit dem Genießen, weil es ziemlich viel wird unter Umständen”, gab Streich einen Einblick in Erwartungen und Befürchtungen, um nochmals seinen Anker zu betonen: “Jetzt kicken wir und dann schaut man einfach, dass man sich im Wesentlichen mit den Spielen beschäftigt.”

Carsten Schröter-Lorenz