Nicht nur bei Kossounou: Xabi Alonsos Klarheit rettet Bayer

Beim Einzug ins Halbfinale der Europa League zeigt Bayer 04 die wohl schlechteste erste Hälfte dieser Saison – und Trainer Xabi Alonso beim 1:1 bei West Ham United seine herausragenden Qualitäten im Coaching.

Erwischte einen schlechten Tag: Odilon Kossounou (re.).

Erwischte einen schlechten Tag: Odilon Kossounou (re.).

IMAGO/Shutterstock

Aus London berichtet Stephan von Nocks

Gute Trainer zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Mannschaften in Relation zu ihrem Kader sehr guten Fußball spielen. Sehr gute Trainer besitzen darüber hinaus auch noch die Fähigkeit, ihre Mannschaft während eines Spiels wieder in die Spur zu führen, wenn es ausnahmsweise mal nicht so rund läuft wie gewohnt. Und diese Fähigkeit demonstrierte Xabi Alonso am Donnerstagabend beim Leverkusener 1:1 in London im Viertelfinal-Rückspiel der Europa League nicht zum ersten Mal eindrucksvoll.

Im Londoner Olympiastadion hatte seine Mannschaft die wohl schwächste erste Hälfte in dieser Saison abgeliefert. Besonders in der ersten halben Stunde waren der neue Deutsche Meister und die Gründe für diesen herausragenden Triumph nicht ansatzweise wiederzuerkennen. Leistete sich Bayer 04 doch nicht nur, aber besonders in Person von Innenverteidiger Odilon Kossounou haarsträubende Fehlpässe, die den hoch pressenden Engländern nicht nur beim 0:1 voll in die Karten spielten.

“Wir wussten, was auf uns zukommen würde, aber wir konnten damit nicht gut umgehen”, urteilte Xabi Alonso nachher, “wir haben leichte Ballverluste gehabt. Wir hatten Glück, nicht das zweite Tor zu kassieren.” Und gab zu: “Das war das Beste an der ersten Hälfte. Es war eine gute Lehrstunde für uns.”

Frühe Kossounou-Auswechslung “nicht die schönste Lösung”

In der der 42-Jährige selbst den ersten entscheidenden Impuls zur Versetzung von Bayer ins Halbfinale setzte. “Es ist schwierig, direkt einzuwirken, deshalb habe ich daran gedacht, was wir in der Halbzeit machen könnten”, verriet der Baske seine Gedanken, wobei er pures Understatement betrieb.

Hatte er doch mit einer einschneidenden Maßnahme schon nach weniger als einer halben Stunde entscheidend auf den Spielverlauf eingewirkt, indem er Kossounou durch Edmond Tapsoba ersetzte. So sorgte Letzterer nach einer anfänglichen Unsicherheit mit dafür, dass die selbstzerstörerischen Aktionen im Aufbauspiel der Werkself aufhörten. Zudem legte der Burkiner den zuvor auffälligen West-Ham-Stürmer und Torschützen Michail Antonio an die Kette – wenn auch manchmal mit an oder gar über der Grenze des Legalen gehender Zweikampfführung.

Diese frühe personelle Maßnahme ergriff der immer so freundlich wirkende Xabi Alonso mit voller Konsequenz, weil er sie für unumgänglich hielt. “Natürlich war es keine einfache Entscheidung. Aber Odi hatte Gelb, wir hatten einige Probleme. Manchmal musst du handeln”, erklärte der Trainer fast entschuldigend, “es ist auch nicht die schönste Lösung, aber ich habe mit ihm geredet. Ich glaube, dass er es verstanden hat. Es ging um das Wohl der Mannschaft. Ein schlechter Tag kann jedem mal passieren.”

Xabi Alonso trifft in der Pause die richtigen Entscheidungen und den richtigen Ton

Dafür erwischte eben Kossounous Chef selbst einen richtig guten. Denn auch zur Halbzeit zog Xabi Alonso die passenden Register. Taktisch, indem er Alejandro Grimaldo und den wie Victor Boniface eingewechselten Jeremie Frimpong auf den Außen weit nach vorne beorderte. “Dadurch, dass Jerry und Grimaldo höher standen, haben wir mehr Raum im Mittelfeld geschaffen und dort auch das Spiel besser entwickelt. Da hatten wir vorher gefühlt keinen Balkontakt”, analysierte Geschäftsführer Simon Rolfes die gelungene Maßnahme.

Auch die Hereinnahme von Mittelstürmer Boniface und des quasi als Rechtsaußen agierenden Frimpong, der am Ende mal wieder mit einem Leverkusener Last-Minute-Treffer für den Ausgleich sorgte, zeigte Wirkung. Bayer war nach der Pause in der Offensive nun viel präsenter, hielt die Bälle besser. “Wir haben Charakter gezeigt, die Spieler, die von der Bank kamen, hatten einen sehr guten Einfluss”, stellte Xabi Alonso fest, der nicht nur personell die richtigen Konsequenzen gezogen hatte.

So schaffte er es auch, die totale Verunsicherung, die bis zur Pause herrschte, mit seinen Ansagen in der Halbzeit zu beseitigen. “In der ersten Hälfte war es sehr schwer. Zur Halbzeit haben wir gesagt, wir wollen unabhängig vom Resultat einfach unser Spiel spielen und uns von nichts und niemand verunsichern lassen”, erklärte Abwehrchef Jonathan Tah, “das haben wir dann in der zweiten Hälfte gezeigt.”

Weil Xabi Alonso, die richtigen Entscheidungen traf – und den richtigen Ton. “Es gab viele Diskussionen in der Halbzeit. Positive, aber auch negative. Dementsprechend war die Reaktion in der zweiten Hälfte”, erklärte Granit Xhaka die wegweisenden Momente in der Kabine. In der Xabi Alonso dafür sorgte, dass seine Mannschaft wieder die Spielkontrolle übernahm – und nach der zweiten Hälfte verdientermaßen weiter vom Triple träumen darf.