Jurendic: “Können den Rückspiegel zuklappen”

Nach jahrelangem Abstiegskampf genießen die Fans des FC Augsburg den aktuellen Erfolg, stimmten beim 2:0 gegen Union Berlin das Lied vom Europapokal an. Doch wie realistisch ist das? Der FCA bleibt vorerst demütig und doch ambitioniert.

Starke Saison: Marinko Jurendic und der FCA schielen auf Europa.

Starke Saison: Marinko Jurendic und der FCA schielen auf Europa.

IMAGO/Ulrich Wagner

Ausgangspunkt der Augsburger Europareise könnte Frankfurt werden. Nicht an Deutschlands größtem Flughafen, sondern bei der Eintracht, wo der FCA am kommenden Freitagabend antritt und mit einem Sieg im Idealfall sogar gleichziehen könnte. Forsche Ziele allerdings formuliert niemand beim FCA, zu sehr haben die Jahre des Existenzkampfes in der Bundesliga diejenigen bescheiden gemacht, die ihn miterlebt haben. Allerdings mutet es grotesk an, wenn Torschütze Sven Michel nach dem 2:0 gegen Union Berlin bei der Frage nach Europa darauf verweist, dass zunächst nur der Klassenerhalt zähle. Der ist längst eingetütet, wenn auch noch nicht rechnerisch. Und, merke: Wer sich keine ambitionierten Ziele setzt, wird sie auch nicht erreichen.

Wir sind Wettbewerber, natürlich wollen wir den siebten Platz verteidigen.

Marinko Jurendic

Am ehesten aus der Deckung wagten sich am Freitagabend mit Trainer Jess Thorup und Sportdirektor Marinko Jurendic zwei Protagonisten, die ihre erste Saison beim FCA erleben. “Wir sind Wettbewerber, natürlich wollen wir den siebten Platz verteidigen”, sagte Jurendic. Dieser würde ziemlich sicher zur Teilnahme an der Conference League berechtigen. “Wir haben lange in den Rückspiegel schauen müssen, den können wir jetzt zuklappen”, fügte der Sportdirektor mit Blick auf die Abstiegsregion hinzu. “Wir blicken nach vorne und schauen, was möglich ist”, sagte Thorup, der dem gesamten Verein mit seiner realistischen, aber doch fordernden Art guttut.

Schweres Restprogramm mit BVB, Leverkusen, VfB

Was spricht sportlich für, was gegen den Europa-Coup des FCA? Dagegen sicher das sehr schwere Restprogramm. Nach Frankfurt und dem Heimspiel gegen Werder Bremen muss Thorups Team noch nach Dortmund und Leverkusen, empfängt dazwischen den VfB Stuttgart. Weitere Ausfälle dürfen nicht passieren, der Kader wurde bereits gegen Union mit zwei Jugendspielern aufgefüllt.

Für Europa spricht die Widerstandsfähigkeit. Augsburg behielt gegen die biederen Berliner die Ruhe, wartete geduldig auf den ersten Fehler, schlug dann in Person von Phillip Tietz eiskalt zu. Und mit dem SC Freiburg und Hoffenheim scheint es in der Tabelle derzeit nur noch zwei Teams hinter dem FCA zu geben, die ihn einholen können. Außerdem könnte gar Platz acht zur Europapokal-Teilnahme reichen, wenn die Bundesliga ihren zweiten Platz in dieser Saison gegenüber England verteidigt.

Zukunftsmusik, der FCA bleibt in der Gegenwart, schaut nur eine Woche voraus. Aus seiner Sicht so vernünftig wie verständlich. Die Fans dagegen dürfen träumen und singen.

Frank Linkesch

Thorup hadert nur kurz: “Gibt nichts Besseres für einen Trainer”

Zumindest das Ergebnis stimmte beim 2:0-Heimsieg des FC Augsburg gegen Union Berlin. Trainer Jess Thorup sah dennoch Verbesserungspotenzial – und sprach ein Sonderlob aus.

Zufrieden, zumindest mit dem Ergebnis: FCA-Trainer Jens Thorup.

Zufrieden, zumindest mit dem Ergebnis: FCA-Trainer Jens Thorup.

picture alliance / SvenSimon

“Das Wichtigste im Fußball ist das Ergebnis”, meinte Augsburgs Trainer Jess Thorup im Interview mit DAZN  mit einem Lächeln. Denn das Ergebnis seines FCA, das passte zweifellos: Mit 2:0 hatten sich die Fuggerstädter gegen Union Berlin durchgesetzt und den nächsten Dreier im Kampf um Platz sieben gesammelt, der bei einem Leverkusener Triumph im DFB-Pokal für die Teilnahme an der Europa Conference League berechtigt. “Das nehmen wir mit”, so der Däne.

Bundesliga, 29. Spieltag

Klar war für den 54-jährigen Coach auch, das die Leistung der Augsburger einem möglichen europäischen Abenteuer nicht gewachsen war: “Wenn man über 90 Minuten schaut, dann können wir ganz klar besser Fußball spielen”, gab Thorup zu, “das Spiel war nicht so gut.” Immerhin freute sich der Trainer über die Effizienz seiner Spieler – war ihm diese doch bei der 1:3-Niederlage in Hoffenheim in der Vorwoche noch abgegangen.

Tietz freut sich über “Treffer aus dem Nichts”

Auch Torschütze Philip Tietz schloss sich der Sicht seines Trainers an: “Es war kein schönes Spiel, von beiden Seiten nicht.” Das Spiel sei “defensiv belastet” gewesen, so der Stürmer. Den Ausschlag zugunsten der Fuggerstädter gaben schließlich haarsträubende Fehler der Eisernen: Vor dem 1:0 spielte Diogo Leite den Ball ohne Not an der Strafraumgrenze in die Füße von Tietz, das 2:0 durch Sven Michel wurde durch einen schlampigen Fehlpass von Alex Kral eingeleitet.

“Er hat halt einen Fehler gemacht, in so einer Situation musst du ihn dann halt machen”, blickte Tietz nüchtern auf seinen Führungstreffer. Sicherlich glücklich sei das 1:0 gewesen, “aber das nehm’ ich dankend an”, so der 26-Jährige. Sein “Tor aus dem Nichts” habe den Schwaben schließlich in die Karten gespielt, da Union danach habe aufmachen müssen.

Breithaupt glänzt bei erstem 90-Minuten-Einsatz

Die Defensivlastigkeit der Partie gereichte vor allem Tim Breithaupt zum Vorteil. Für den Sommer-Neuzugang, der unter Thorup lange einen schweren Stand hatte, war es der erste Bundesliga-Auftritt über 90 Minuten. “Ich bin total glücklich, heute von Anfang an gespielt zu haben”, freute sich Breithaupt. Er habe “sein Herz auf dem Platz gelassen” und versucht, der Mannschaft zu helfen.

Und das ist auch gelungen: Der Sechser glänzte mit einer Laufleistung von über zwölf Kilometern (Bestwert beim FCA) sowie etlichen wichtigen Ballgewinnen. Sein Trainer war anschließend voll des Lobes: “Das war super von Breithaupt. Wie er sich in den letzten Wochen und Monaten vorbereitet hat für die Chance, die er jetzt bekommt, das ist unglaublich.”

Duell mit Tabellennachbar Frankfurt wartet

Insgesamt konnte Thorup doch noch zufrieden sein mit dem Abend: “Es gibt nichts Besseres für einen Trainer, als am Freitagabend einen Sieg zu holen und am Wochenende dann den anderen Teams zuzuschauen” – eine sanfte Stichelei gegen die Konkurrenten aus Hoffenheim und Freiburg. Doch schon am kommenden Freitag geht es gegen Eintracht Frankfurt (20.30 Uhr, LIVE! bei kicker) weiter, dem Tabellensechsten. Dann könnte der FCA mit einem Sieg im direkten Duell näher an den Tabellennachbarn heranrücken und hätte sogar noch die Chancen auf einen Europa-League-Startplatz.

Daran wollten die Augsburger jedoch noch nicht denken, weiter gilt, man denke von Woche zu Woche. Oder wie es Breithaupt ausdrückte: “Heute haben wir zu null zuhause gewonnen. Jetzt geht es weiter: nächste Woche Frankfurt!”

Tietz: “Wer jetzt noch von Grottenkick spricht, der guckt keinen Fußball”

Augsburg reist mit leeren Händen aus Sinsheim zurück nach Hause – und dennoch war man nicht ganz unzufrieden, wie Philipp Tietz hervorhob, auch weil man gezeigt habe, dass man wieder jemand ist.

Ließen auch bei der TSG zwischenzeitlich die Muskeln spielen. Ermedin Demirovic (vorne) und Philipp Tietz beim Torjubel zum 1:2.

Ließen auch bei der TSG zwischenzeitlich die Muskeln spielen. Ermedin Demirovic (vorne) und Philipp Tietz beim Torjubel zum 1:2.

IMAGO/kolbert-press

“Wir haben die ersten 20 Minuten brutal verschlafen”, analysierte Kapitän Ermedin Demirovic nach der 1:3-Niederlage bei der TSG am DAZN-Mikro und verwies auf “zu viele Ballverluste”, die man sich erlaubt habe. Das Kernproblem sei jedoch ein anderes gewesen: “Wir sind eine Mannschaft, die hoch presst und den Gegner stressen will. Das haben wir in den ersten 20 Minuten nicht hinbekommen.”

Ein Grund dafür war auch, dass Trainer Jess Thorup aufgrund zahlreicher Verletzungen auf Dreierkette umgestellt hatte – ein Experiment, das, wie sich zeigte, schiefging. “Wir hatten keine Außenverteidiger”, erklärte der Däne: “Was soll ich da machen, ich wollte die Mannschaft schützen.” Nach 20 Minuten aber reifte in ihm die Entscheidung, doch wieder auf Viererkette umzustellen und mehr Risiko einzugehen. Danach sei es besser gewesen, stellte nicht nur der Coach fest.

Wir wissen, dass das System, das wir in der zweiten Hälfte gespielt haben, uns Vertrauen schenkt.

Philipp Tietz

“Als wir auf unser altes System umgestellt haben, hat man gemerkt, dass wir wieder in unseren Flow und unsere Abläufe reingekommen sind. Dann war es deutlich besser, aber da lagen wir schon 0:2 zurück”, meinte Demirovic und gab zu: “Es tut weh, wenn man so dumm und unnötig am Ende verliert.”

Demirovics Sturmkollege Philipp Tietz verwies auf “Unachtsamkeiten und Stellungsfehler”, die zu den ersten beiden Gegentoren geführt hätten. “In der ersten Hälfte war es kein gutes Spiel von uns”, monierte der Angreifer und verweis auf die starke zweite Hälfte. In der “hat man unser richtiges Gesicht gesehen.”

Dies sei auch auf die Systemumstellung während der Partie zurückzuführen. “Wir wissen, dass das System, das wir in der zweiten Hälfte gespielt haben, uns Vertrauen schenkt. Wir kennen es in- und auswendig und wissen, was zu tun ist. Das wir das neue System nicht so drin haben, ist klar.”

Stolz trotz Rückschlag im Rennen um Platz sieben

“Ein Unentschieden wäre auf jeden Fall verdient gewesen”, betonte Tietz, wohlwissend, dass die Niederlage einen Rückschlag im Rennen um Platz 7, der im kommenden Jahr womöglich zur Teilnahme an der Conference League berechtigen wird, bedeutete. Dem Thema Europapokal weicht man bei den bayerischen Schwaben aber weiter geschmeidig aus – und das aus gutem Grund, wie Tietz anmerkte.

Ihm sei schon klar, dass “jeder Spieler auf der Welt” nur allzu gerne die Floskel, “wir schauen von Woche zu Woche” bemüht, “aber bei uns ist es wirklich so. Wir tun gut daran, denn es hat uns dahin gebracht, wo wir jetzt sind – und wir sind stolz darauf. Es sind noch sechs Spiele, wir wollen das Maximum rausholen und dann sehen wir, was am Ende passiert.” Thorup aber gab zu, dass er mit Platz sieben leben könnte.

Für Tietz ist wichtig, dass der FCA, der in den vergangenen Jahren nur in unteren Tabellenregionen anzutreffen war, wieder zeigt, dass mit ihm zu rechnen ist. “Wir wollen ein anderes Gesicht zeigen”, betonte der 26-Jährige und ergänzte: “Wir sind mittlerweile ein anderes Augsburg geworden.” Für Tietz ist klar, dass “wenn jetzt noch einer sagt”, in Augsburg würde man nur einen “Grottenkick” zusammenspielen, dass derjenige “keinen Fußball” schaue. Denn: “Mittlerweile spielen wir echt attraktiv und die ganze Mannschaft hat es verdient, dass man uns als ernsthaften Gegner sieht.”