Mainzer Vorreiter: Burkardts neue Härte lässt Schmidt schwärmen

Mit dem Remis in Freiburg klettert Mainz für den Moment auf einen Nichtabstiegsplatz. Die Entwicklung der Mannschaft imponiert. Als Vorreiter tritt einmal mehr ein Eigengewächs in Erscheinung.

Christian Streich legte sich am späten Sonntagabend schon eindeutig fest: “Mainz 05 wird nicht absteigen, das ist klar.” Zu stark sei der Kader der Rheinhessen besetzt, argumentierte Freiburgs Trainerlegende, zu beeindruckend war gleichzeitig der Auftritt der Gäste beim 1:1 im Europa-Park-Stadion. Tatsächlich steht das Team von Coach Bo Henriksen nach dem fünften Spiel in Serie ohne Niederlage erstmals seit dem 2. Spieltag wieder über dem viel zitierten Strich. Sich davon und durch Streichs Komplimente nicht in Sicherheit wiegen zu lassen, bleibt freilich elementar. “Platz 15 hat aktuell keine Bedeutung”, hält Keeper Robin Zentner folgerichtig fest. “Wir haben uns in den letzten Wochen ein gutes Gefühl erarbeitet, aber wir wissen, dass wir einen langen Atem brauchen. Die Punkte, die wir bisher geholt haben, werden nicht reichen.”

“Platz 15 ist weniger relevant. Wichtig ist, dass wir standgehalten haben”

Sportdirektor Martin Schmidt bestätigt: “Platz 15 ist weniger relevant. Wichtig ist, dass wir auswärts bei einem Europa-League-Kandidaten standgehalten und wieder einen Punkt draufgepackt haben. So halten wir den Druck hoch, auf die Konkurrenten hinter uns genauso wie auf die vor uns.” Den Druck, der naturgemäß auch auf ihnen selbst lastet, wandelten Henriksens Profis derweil auch in Freiburg einmal mehr in maximale Energie um. “Die Situation im Abstiegskampf lässt die ganze Mannschaft unheimlich intensiv gegen den Ball arbeiten”, hat auch Schmidt registriert. Wieder mal ein Paradebeispiel: Jonathan Burkardt, der als einzige Spitze ein enormes Pensum leistete, im Kombinationsspiel wie gegen den Ball – und beim sehenswerten Treffer zum 1:1 klassische Mittelstürmer-Qualitäten nachwies.

“Früher hat man gesagt: Er fliegt zu leicht weg, da fehlt noch was.”

Mit perfektem Timing grätschte Burkardt in die Flanke von Anthony Caci, distanzierte Gegenspieler Yannik Keitel dabei um die berühmte Fußspitze. “Da hat man gesehen, wie flexibel und dynamisch Johnny ist”, lobt Schmidt, “quirlig, handlungsschnell und dadurch in der Box brandgefährlich.” Noch auffälliger: Die Körperlichkeit, mit der das 23-jährige Eigengewächs inzwischen in praktisch jeder Aktion zu Werke geht.

“Was Johnny ausmacht, ist seine Intensität”, beschreibt Schmidt. “Er geht in jeden Zweikampf, ist auch hart gegen die Innenverteidiger.” Eine Entwicklung, die erkennbar mit Burkardts rund einjähriger Verletzungszeit seit Winter 2022 zusammenhängt. “Diese Zweikampfhärter und Aggressivität habe ich vorher nicht so von ihm gesehen”, untermauert Schmidt. “Er war immer ein guter Kicker, immer torgefährlich. Aber früher hat man oft gesagt: Er fliegt im Zweikampf zu leicht weg, ist noch zu schmächtig, da fehlt noch was.”

“Auf Johnny kann man sich jederzeit verlassen. Er redet nicht – er macht.”

Die lange Pause aufgrund seiner Knieverletzung habe Burkardt top professionell genutzt, so Schmidts Erkenntnis. “Er hat in der ganzen Körperstatik unheimlich gut nachgebaut, draufgepackt und ist unheimlich stabil geworden. Deshalb kann er da vorne auch die alleinige Neun so spielen. Vor eineinhalb, zwei Jahren war er in dieser Rolle noch nicht so wertvoll. Er hat da einen Schritt gemacht, ganz sicher.”

Beim einen oder anderen Foul an Burkardt, etwa Nicolas Höflers gestrecktem Bein, stockte den 05-Fans der Atem. Nicht so Schmidt, der urteilt: “Johnny geht mutig in die Zweikämpfe, mit voller Spannung. Gefährlicher sind eher die Fouls, die ein Spieler nicht kommen sieht. Deshalb war ich sicher: Der Johnny steht immer wieder auf.” Passend zum Bild der Identifikationsfigur im Existenzkampf, das Burkardt seit geraumer Zeit abgibt. Coach Henriksen fasst das treffend so zusammen: “Johnny ist ein Spieler, auf den man sich jederzeit verlassen kann. Er redet nicht – er macht.” Woche für Woche.

Thiemo Müller

Schmidts Sonderlob für Amiri: “Das ist eine Wahnsinnsqualität”

Lange Zeit fiel Mainz 05 das Toreschießen ziemlich schwer. Jetzt haben sich Jae-Sung Lee, Jonathan Burkardt und Brajan Gruda gefunden. Gegen Darmstadt und Hoffenheim erzielte der FSV acht Treffer.

Er ist in Mainz ein Unterschiedsspieler: Nadiem Amiri.

Er ist in Mainz ein Unterschiedsspieler: Nadiem Amiri.

imago images

Während man beim 4:0 gegen Darmstadt 98 noch mutmaßen konnte, die hohe Torausbeute habe mit dem Gegner zu tun, der die Schießbude der Liga ist, wurde man beim 4:1 gegen die TSG eines Besseren belehrt. Gegen einen Klub, der um Tabellenplatz sechs mitspielt, dominierte Mainz das Geschehen fast nach Belieben.

Zu verdanken war das auch dem Offensivtrio, das aus Jae-Sung Lee, Jonathan Burkardt und Brajan Gruda besteht. Mit der gleichen Besetzung im vorderen Bereich hatte Mainz übrigens vier Spieltage zuvor beim FC Bayern 1:8 verloren – wie sich die Zeiten ändern. Die Klatsche in München hatte offensichtlich einen Hallo-wach-Effekt und kann mittlerweile als Ausreißer betrachtet werden. Vor dem Duell beim SC Freiburg (Sonntag, 19.30 Uhr, LIVE! bei kicker) haben die 05er nur noch einen Zähler Rückstand auf Tabellenplatz 15.

Gruda und Lee trafen in den jüngsten beiden Partien je zweimal, Burkardt einmal. Bei den Torvorlagen hat Burkardt (2) die Nase vorne, Lee und Gruda kommen auf jeweils eine. Die meisten Torschüsse aus dem Trio gab Lee (8) ab, gefolgt von Burkardt (7) und Gruda (3). Gegen Hoffenheim zeigte sich das gesamte Team sehr schussfreudig und kam auf 25 Torschüsse. Davor lag der Schnitt nur bei 13,86 pro Partie.

“Die anderen Spieler wachsen daran”

“Dass die Mannschaft Fußball spielen kann, wussten wir schon lange, jetzt tritt sie auch mit Selbstbewusstsein auf. Nadiem Amiri ist unglaublich, wenn man sieht, wie er die Konter antreibt, das ist eine Wahnsinnsqualität, und die anderen Spieler wachsen daran”, stellt Sportdirektor Martin Schmidt fest. Die Entscheidung, Amiri im Winter in Leverkusen loszueisen, ist ein entscheidender Faktor für den momentanen Erfolg.

Hinzu kommt der Formanstieg von Lee, Gruda und Burkardt. Lee saß nach der Fernreise zur südkoreanischen Nationalmannschaft in Mainz zunächst auf der Bank, versprüht inzwischen wieder Spielfreude. Genau wie der junge Gruda, der auch eine Weile nur Reservist war und sich mittlerweile mehr und mehr zum Unterschiedsspieler entwickelt. Burkardt, der erst Ende November aus einer langen Verletzungspause zurückkehrte, wird immer fitter und war gegen Hoffenheim mit 11,27 Kilometern der laufstärkste Mainzer.

Michael Ebert

“Glücksgriff” Amiri – und was noch hinter dem Mainzer Aufschwung steckt

kicker-Reporter Michael Ebert analysiert 15.04.2024

“Glücksgriff” Amiri – und was noch hinter dem Mainzer Aufschwung steckt

3:06Anfang März war der FSV Mainz 05 mit neun Punkten Rückstand auf Tabellenplatz 15 Vorletzter. Vier Wochen später ist der Vorsprung der Konkurrenz plötzlich dahin – kicker-Reporter Michael Ebert erklärt, warum.

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Mainzer Burkardt reif für den Gentlemen’s Club

Jonathan Burkardt ist eine seltene Erscheinung im bunten Profizirkus der Bundesliga. In größter Abstiegsnot verlängert er seinen auslaufenden Vertrag. Beim 4:1 gegen die TSG Hoffenheim freut er sich fast mehr über das Tor von Karim Onisiwo als über sein eigenes und sorgt zudem mit einer ehrlichen Antwort dafür, dass die 05er eine Ecke weniger bekommen.

Der Mainzer Jonathan Burkardt (l.) gegen den Hoffenheimer Umut Tohumcu.

Der Mainzer Jonathan Burkardt (l.) gegen den Hoffenheimer Umut Tohumcu.

IMAGO/Thomas Frey

In der 10. Minute entscheidet Schiedsrichter Felix Zwayer auf Eckstoß für Mainz, geht dann zu Burkardt und befragt ihn, ob er noch dran war, was dieser bejaht. Statt einer Ecke für den FSV darf Hoffenheim das Spiel fortsetzen. “Das ist kein großes Ding, ich möchte mir meine Werte bewahren”, sagt der Mainzer Stürmer nach dem Abpfiff.

Zehn Minuten später fällt das 1:0 der Gäste wie aus dem Nichts. Die hoch überlegenen Mainzer lassen sich dadurch weder aus der Ruhe noch aus dem Konzept bringen. “Wir können momentan auch mit Rückschlägen umgehen und sind cool geblieben”, stellt Burkardt später fest. Mit großer Leidenschaft kämpft die Mannschaft gegen den Rückstand an. Kurz nach der Pause gelingt Burkardt das 1:1, vier Minuten später erhöht Phillipp Mwene auf 2:1 – die Partie ist gedreht.

“Wir haben es irgendwie erzwingen können”, betont der Schütze des Ausgleichs, der den Ball von Anthony Caci mustergültig auf den Kopf serviert bekommt. “Ich habe gesehen, wie er hochguckt und musste aufgrund seiner super Flankenqualität nur noch den Kopf hinhalten”, freut sich Burkardt über sein fünftes Saisontor. Nachdem er erst Ende November aus einer langen Verletzungspause zurückgekehrt war, spielt er zum dritten Mal über 90 Minuten. Der 23-Jährige nähert sich immer mehr der Form, die er vor der Knie-OP hatte.

Beim 3:1 durch Brajan Gruda steht Burkardt als Vorlagengeber bereit. Für den größten Jubel im Mainzer Lager sorgt jedoch das 4:1 durch Karim Onisiwo. “Ich habe mich fast mehr gefreut als bei meinem Tor, weil er es dermaßen verdient, Tag für Tag dafür echt gearbeitet hat und so ein bisschen die Scheiße am Schuh hatte in dieser Saison”, sagt Burkardt trocken. Onisiwos erster Saisontreffer habe den Tag “perfekt abgerundet”.

Michael Ebert

Henriksen über seine Mainzer: “Stolz darauf, wie wir angreifen”

Gegen Schlusslicht Darmstadt traten die 05er gleichermaßen wie stabil wie durchschlagskräftig auf. Das soll keine Momentaufnahme bleiben.

Wieder Grund zu lachen: Jae-Sung Lee (li.) und Jonathan Burkardt (re.) feiern mit ihren Teamkollegen das Tor des nicht abgebildeten Angriffskollegen Brajan Gruda.

Wieder Grund zu lachen: Jae-Sung Lee (li.) und Jonathan Burkardt (re.) feiern mit ihren Teamkollegen das Tor des nicht abgebildeten Angriffskollegen Brajan Gruda.

Getty Images

Defensiv stabil präsentiert sich Mainz 05 seit dem Amtsantritt von Bo Henriksen ohnehin – mit Ausnahme des 1:8 beim FC Bayern. In sieben Ligapartien unter der Regie des dänischen Fußballlehrers spielten die Rot-Weißen vier Mal zu null, zuletzt dreimal in Folge.

Eine längere Serie von “weißen Westen”, nämlich vier, gab es für die Rheinhessen in der Bundesliga lediglich im April 2012. Beim jüngsten 4:0 gegen Darmstadt gelang Jonathan Burkardt und Kollegen indes auch eine Saisonpremiere: Erstmals traf Mainz häufiger als zweimal in den gegnerischen Kasten.

“Wir haben ausgesehen wie ein Team, das Tore schießen will”, streicht Henriksen heraus, “das war mehr oder weniger über die ganze Saison gesehen anders. Und jetzt hätten wir sogar noch mehr Tore schießen können”.

Burkardt, Gruda, Lee: Wirbelnde Dreier-Offensive erhöht Unberechenbarkeit

Ein Grund dafür, auch aus Sicht des Trainers: Die Besetzung der Dreier-Offensive mit Burkardt, Brajan Gruda und Jae-Sung Lee. Allesamt agile Angreifer, die auf ihren Position rotieren und “die Halbräume finden”, wie Henriksen formuliert. Bedeutet: Spieler, die für die gegnerischen Abwehrkräfte schwer zu greifen sind. Und die “sich trauen, zu kombinieren. Vor allem im letzten Drittel sind wir dadurch viel schneller”.

Die Unberechenbarkeit wird also deutlich erhöht gegenüber einer Formation mit klassischem Zentrumsstürmer vom Schlag eines Ludovic Ajorque. Dass Henriksen auch am Samstag gegen Hoffenheim (15.30 Uhr, LIVE! bei kicker) an vorderster Front aufs wirbelnde Trio Burkardt-Lee-Gruda setzt, wäre zumindest naheliegend.

Schließlich erklärt er mit Blick aufs vergangene Wochenende unverblümt: “Ich bin sowieso stolz darauf, wie wir verteidigen. Aber jetzt können wir auch stolz darauf sein, wie wir angreifen.” Damit ist in Henriksens Augen zumindest für den Moment die nächste Entwicklungsstufe erreicht.

Gegen Bayern habe ich nur an den Gegner gedacht. Aber der Fokus auf uns ist wichtiger.

Bo Henriksen

Unterdessen verriet Burkardt schon unmittelbar nach der Darmstadt-Partie, sich in der Rolle als Mittelstürmer noch “einen Tick wohler” zu fühlen als auf außen. Die “geringere Boxpräsenz”, die sich Burkardt selbst im Vergleich zu Ajorque und Karim Onisiwo attestiert, ist dabei für Henriksen kein Problem: “Ich denke, auch Johnny kann eine klassische Neun spielen. Er ist clever und in den Duellen wirklich stark. Wir haben gegen Darmstadt gesehen, dass er sich auch gegen die großen Kerle durchsetzen kann.”

Wann eventuell trotzdem wieder der Typ Ajorque gefragt sein wird, hänge unter Umständen auch vom Gegner ab, ergänzt Henriksen: “Doch der wichtigste Faktor ist nicht, was andere machen, sondern wir.” Abgewichen sei er von diesem Prinzip gegen die Bayern, räumt der 05-Coach ein: “Da habe ich nur an den Gegner gedacht. Aber es ist wichtiger, den Fokus darauf zu legen, worin wir gut sind.” Was vorm Spiel gegen Hoffenheim kaum für eine personelle Veränderung der Offensive spricht.

Thiemo Müller

Burkardt: “Wir glauben daran, Bochum einholen zu können”

In den vergangenen Wochen glänzte Jonathan Burkardt regelmäßig als Torschütze. Gegen Darmstadt blieb er im Abschluss glücklos – und trotzdem ein wesentlicher Faktor.

Klasse Versuch ohne Fortune: Der Mainzer Jonathan Burkardt blieb gegen Darmstadt ein Erfolgserlebnis nicht vergönnt.

Klasse Versuch ohne Fortune: Der Mainzer Jonathan Burkardt blieb gegen Darmstadt ein Erfolgserlebnis nicht vergönnt.

IMAGO/Kessler-Sportfotografie

Von Mainzer Spielern, denen die Fans im Fall des Klassenerhalts womöglich “eine Statue bauen” würden, sprach 05-Coach Bo Henriksen in den vergangenen Wochen immer wieder. Vor dem geistigen Auge seiner Zuhörer dürfte dabei vor allem ein Gesicht aufgetaucht sein: Das von Jonathan Burkardt (23).

Mit seinem gesamten Auftreten sowie mit immens wichtigen Treffern in den Schlüsselspielen gegen Union (1:1), Gladbach (1:1) und Bochum (2:0) ist das lange verletzte Eigengewächs im Abstiegskampf zur Identifikationsfigur schlechthin avanciert. Ausgerechnet beim 4:0 gegen Jugendklub Darmstadt 98 – dort war Burkardt von 2009 bis 2014 am Ball – präsentierte sich der Blondschopf im Abschluss indes ungewohnt glücklos: Nach fünf Minuten setzte er sich zunächst stark durch, vergab aber dann eher kläglich frei vor Lilien-Keeper Marcel Schuhen. Später schlug er ein Luftloch beim versuchten Seitfallzieher am Fünfmeterraum.

Ganz vorne fühle ich mich einen Tick wohler, bin da schwerer zu greifen.

Jonathan Burkardt

Die entscheidenden Glanzlichter setzten andere – was den trotzdem 90 Minuten präsenten Teamplayer Burkardt freilich nicht aus dem Gleichgewicht brachte: “Ich hätte sehr, sehr gerne getroffen”, gibt er rückblickend zu Protokoll, “aber es war trotzdem ein perfekter Tag.” Zu dem Burkardt mit dem Assist für Brajan Gruda beim 2:0 wohlgemerkt auch zählbar beitrug. Nach Bartol Franjics fahrlässigem Rückpass zeigte er sich geistig hellwach, spritzte erfolgreich dazwischen. Nur ein Beispiel dafür, welchen Wert der dynamische Burkardt auch als alleinige Nummer 9 entfalten kann, als die ihn Henriksen diesmal ins Rennen geschickt hatte.

Zur Freude des Profis selbst: “Ganz vorne”, erklärt Burkardt, “fühle ich mich einen Tick wohler, ich bin da ein bisschen schwerer zu greifen.” Dass einer wie er daraus keine Positionsansprüche ableitet, versteht sich von selbst: “Ich fühle mich in der anderen Rolle (hängend oder auf Außen, Anmerkung der Redaktion) auch wohl. Beides hat für unser Spiel und für mich Vor- und Nachteile.” So hätten die Kollegen Ludovic Ajorque oder Karim Onisiwo als klassische Zentrumsstürmer “natürlich eine andere Box-Präsenz als ich, das ist klar”.

Im Fall der Rettung wäre ein Wechsel nach Hoffenheim eine faustdicke Überraschung

Dass die Fans in der MEWA-Arena neben dem eigenen Erfolg auch das späte Kölner 2:1 gegen Bochum feierten, kann Burkardt bestens nachvollziehen. Obwohl die Geißböcke damit bis auf einen Punkt an Mainz dranbleiben. Doch dafür ist der VfL nur noch drei Zähler entfernt – und Burkardt richtet den Blick nach oben: “Alles ist einen Tick enger beisammen, das ist gut für uns. Auch wir glauben daran, Bochum noch einholen zu können.” Ohne die notwendige Reihenfolge aus den Augen zu verlieren: “Sinnvoll ist es, sich jetzt auf Hoffenheim vorzubereiten, um den nächsten Schritt in die richtige Richtung zu gehen.”

Aus dem Zusammenhang gerissen hätte diese Formulierung übrigens eine höchst brisante Note – zählt doch der kommende Gegner TSG, wie vom kicker enthüllt, zu jenen Klubs, die Burkardt im Sommer gerne verpflichten würden. Selbst im Fall des Mainzer Klassenerhalts. Dazu sagte Burkardt dieser Tage im Interview mit der Mainzer Allgemeinen Zeitung erwartungsgemäß: “Damit beschäftige ich mich gerade null. Ich möchte meine ganze Kraft dafür aufbringen, dass wir mit Mainz in der Bundesliga bleiben.” Sollte das gelingen, wäre der Abschied Burkardts, der seinen Vertrag bei 05 gerade erst bis 2027 verlängert hat, zu einem Liga-Konkurrenten vom Kaliber Hoffenheim ohnehin eine faustdicke Überraschung.

Thiemo Müller

Totalumbau des Angriffs droht: Hoffnung bei Burkardt

45 Treffer hat die TSG Hoffenheim in der laufenden Saison erzielt, das ist immerhin der siebtbeste Wert der Bundesliga. Die Offensive ist zweifelsfrei das Prunkstück der Kraichgauer – doch ausgerechnet im Angriff droht ein Totalumbau.

Bleibt Jonathan Burkardt bei der TSG?

Bleibt Jonathan Burkardt bei der TSG?

IMAGO/Werner Schmitt

Denn intern rechnet man nach kicker-Informationen nicht mehr wirklich damit, Maximilian Beier und Wout Weghorst über den Sommer hinaus halten zu können. Letztgenannter ist vom FC Burnley ohne Kaufoption ausgeliehen. Der mittlerweile wahrscheinliche Abstieg der Elf von Trainer Vincent Kompany verbessert zwar grundlegend die Verhandlungsposition von Sportgeschäftsführer Alexander Rosen hinsichtlich einer dauerhaften Verpflichtung des Niederländers. Aber: Für einen bald 32-Jährigen einen mittleren, einstelligen Millionenbetrag auszugeben, würde nicht unbedingt der Philosophie entsprechen, der man sich im Kraichgau eigentlich verschrieben hat. Die lautet nämlich, Talente weiterzubilden und deren Wertsteigerung dann per Verkauf zu realisieren.

Nächstes Spiel

Im Falle Beier ging dies geradezu perfekt auf. Dass der 13-Tore-Stürmer über eine Ausstiegsklausel rund um die 30 Millionen Euro – die finale Summe hängt von Ligazugehörigkeit und internationalen Wettbewerbsteilnahmen eines Interessenten ab – verfügt, ist bekannt, genau wie das Interesse von Topklubs, darunter der designierte neue Meister Bayer Leverkusen. Ob der hohen Transferinvestitionen im vergangenen Sommer in Attila Szalai, Anton Stach und Mergim Berisha ist man im Kraichgau auch in der kommenden Transferperiode wieder auf hohe Einnahmen angewiesen. Und Beier scheint aktuell neben Umut Tohumcu und Tim Drexler, die aber beide noch reifen müssen, der einzige Profi im Hoffenheimer Kader zu sein, der diese garantiert.

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Die Frage wäre dann, wieviel die Macher reinvestieren könnten, denn ohne Transferüberschüsse soll das strukturelle Defizit bei 15 bis 20 Millionen Euro pro Spielzeit liegen. Die Hoffnung, bei Jonathan Burkardt zum Zug zu kommen auch im Falle eines Mainzer Klassenerhalts jedenfalls soll zuletzt in Hoffenheim wieder etwas gestiegen sein, nachdem man zunächst davon ausgegangen war, den 23-Jährigen nur im Falle eines Abstiegs der Rheinhessen loseisen zu können. Bei Nick Woltemade, der seit Jahren auf internen TSG-Listen steht, nicht zuletzt ob seiner Physis mit 1,98 Metern Körpergröße, ging man leer aus, alles deutet auf einen Transfer zum VfB Stuttgart hin.

Interesse am Rumänen Dragus

Zuletzt schlug der Name eines weiteren Stürmers im Kraichgau auf: Denis Dragus, der aktuell von Standard Lüttich an Gaziantepspor FK verliehen ist und dort in der laufenden Saison elfmal in der Süper Lig getroffen hat. Dessen Ex-Trainer Darius Sumudica erzählte der für gewöhnlich bestens informierten rumänischen Sportzeitschrift “Gazeta Sporturilor”, dass die TSG bereits ein Angebot in Lüttich hinterlegt habe. Nach kicker-Informationen besteht in der Tat ein gewisses Interesse, allerdings ist es bei weitem nicht so konkret, wie es in der Heimat des 24-jährigen Dragus ob des Interviews seines ehemaligen Coaches gespielt wird.

Benni Hofmann

Henriksen: “Jetzt schon wie ein Wunder”

Nach dem 2:0 gegen Bochum sieht der Mainzer Trainer seine Zuversicht bestätigt. Vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl rund um den Verein wie innerhalb des Teams hat es ihm hörbar angetan.

Pure Freude nach dem 2:0-Sieg gegen Bochum: Mainz-Coach Bo Henriksen (re.).

Pure Freude nach dem 2:0-Sieg gegen Bochum: Mainz-Coach Bo Henriksen (re.).

IMAGO/Revierfoto

“Alles gut ?” – mit dieser fröhlich vorgetragenen Formel begrüßt Bo Henriksen seine Gesprächspartner am liebsten. Sein eigenes Befinden, verriet der Mainzer Trainer nach der öffentlichen Einheit am Dienstag lachend, sei “etwas besser als letzte Woche” nach dem 1:8 beim FC Bayern. Womit Henriksen natürlich kolossal untertrieb. Das 2:0 gegen Bochum und der Sprung auf Platz 16 haben den 05ern Auftrieb gegeben.

Auch ihrem Coach, der sich in seinem Ansatz des positiven Denkens aktuell bestätigt sehen darf: “Es ist ein verrücktes Jahr für alle in diesem Klub. Aber ich spüre eine Menge Energie und Glauben. Speziell von der Stadt und von den Fans. Gegen Bochum vor einem vollen Haus zu spielen und das, was schon vor dem Spiel los war – das ist unglaublich. Was Stadt und Fans abliefern nach so vielen Enttäuschungen in dieser Saison, fühlt sich jetzt schon an wie ein Wunder. Mit diesem Level an Positivität ist alles möglich.”

Mainz 05: Die nächsten Gegner

Henriksens Herangehensweise verfängt im Verein und drumherum nach wie vor. Doch selbstverständlich ist dem Dänen auch bewusst, dass der Klassenerhalt nicht mit Worten allein zu bewerkstelligen ist – sondern dass seine Profis auf dem Platz dafür sorgen müssen. Vor den anstehenden “acht Finals” (Henriksen) misst er der aktuellen Länderspielpause daher eine immense Bedeutung bei.

“Dienstag, Mittwoch, Donnerstag wird hart gearbeitet mit Intensität und Power”, erläutert der Fußballlehrer. Danach dürfen die Spieler drei Tage lang “mental ein bisschen zur Ruhe kommen, auch das ist wichtig”. Ohne allerdings die körperliche Verfassung zu vernachlässigen: “Jeder Spieler bekommt sein Programm mit, niemand wird komplett Pause machen.” Denn: “Für die Art und Weise, wie wir spielen wollen, brauchen wir 100-prozentig fitte Spieler.” Und diesbezüglich besteht bei diversen Akteuren nach längeren Ausfallzeiten noch Nachholbedarf.

Weipers Comeback im Sicht, Saison-Aus für Bell

Etwa bei Bochum-Matchwinner Johnny Burkardt oder den Verteidigern Edimilson Fernandes und Andreas Hanche-Olsen. Letztgenannter ist für die norwegische Nationalmannschaft abgestellt, soll aber dort von Coach Stale Solbakken, laut Henriksen ein “guter Freund”, absprachegemäß so aufgebaut und eingesetzt werden, dass er in bestmöglicher Verfassung zurückkehrt.

Erfreulich entwickelt sich auch die Situation bei Angreifer Nelson Weiper nach langwieriger Knieverletzung. Am Dienstag absolvierte der Youngster bereits die Spielformen ohne Körperkontakt mit den Kollegen. “Nelson kann vielleicht in zwei, drei Wochen wieder voll trainieren und in einem Monat Bundesliga spielen”, hofft Henriksen. Dagegen wird Routinier Stefan Bell infolge seiner Herzmuskelentzündung wohl keine Rolle mehr im Abstiegskampf spielen: “Ich glaube nicht, dass er diese Saison nochmal zur Verfügung steht”, lautet die Prognose des Trainers.

Für mich zählt nur, dass wir überleben. Wie, das kümmert mich nicht.

Bo Henriksen

Noch lieber als über Einzelne spricht Henriksen ohnehin übers Mainzer Kollektiv: “Es ist fantastisch zu sehen, wie die Jungs dem Druck standhalten. Das beruht auf einer tollen Kultur als Gruppe.” Zugleich wehrt er sich gegen die Deutung, sein Team habe in der zähen ersten Hälfte gegen Bochum gehemmt agiert: “Wenn viele Leute sagen, dass wir gegen Bochum eine schlechte erste Hälfte gespielt hätten, dann halte ich dagegen: Bochum hatte in der ersten Hälfte einen x-goal-Wert von 0,01. Das ist so ziemlich der kleinste Wert, den du überhaupt haben kannst. Ich glaube, wir haben richtig clever gespielt. Und genau das müssen wir beibehalten sein. Wir wollen mutig sein – aber auch clever.”

Ob nach dem ersten Schritt weg von den direkten Abstiegsplätzen nun sogar Rang 15 das nächste Ziel sei? Bei dieser Frage zeigt sich auch Henriksen kontrolliert offensiv: “Wir wollen immer lieber etwas jagen als etwas zu verteidigen. Aber für mich zählt nur, dass wir überleben. Wie uns das gelingt, kümmert mich nicht.” Und ergänzt mit einem Lächeln: “Vielleicht macht es ja sogar Spaß, am Ende noch zwei Spiele mehr zu haben …”

Thiemo Müller

Henriksen schwärmt von “Signal Player” Burkardt in Mainz

Mit dem dritten Bundesliga-Doppelpack seiner Karriere schoss Jonathan Burkardt Mainz 05 auf den Relegationsplatz. Anderthalb Jahre nach seiner schweren Verletzung knüpft der 23-Jährige an seine alten Leistungen an.

Stimmte das

Stimmte das “Humba Täterä” an: Jonathan Burkardt.

picture alliance/dpa/Revierfoto

Freud und Leid standen Jonathan Burkardt nach dem 2:0 gegen den VfL Bochum ins Gesicht geschrieben. Mit einem breiten Grinsen erschien er in der Interviewzone und sprach über seine Glücksgefühle. Die dicke Schramme auf der Nase hatte er noch gar nicht im Spiegel betrachtet.

Kurz vor der Pause war er drauf und dran gewesen, den Ball ins gegnerische Tor zu bugsieren. Burkardts Kopfball klärte der herauseilende VfL-Keeper Manuel Riemann mit der Faust, die unmittelbar danach ins Burkardts Gesicht landete, der zu Boden ging. Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck entschied trotz der Mainzer Proteste auf Weiterspielen.

In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit ertönte dann aber der Elfmeterpfiff, als Jae-Sung Lee im Kampf um den Ball mit Bernardo im Strafraum auf dem Rasen lag. Die TV-Zeitlupen zeigten, dass der Bochumer zuerst den Ball gespielt hatte, doch die Strafstoßentscheidung blieb bestehen.

Amiri wäre auch als Schütze in Frage gekommen

Burkardt schnappte sich das Spielgerät und hämmerte es zum 1:0 in die Maschen. In der 71. Minute legte er das 2:0 nach. Es waren seine Bundesligatore 18 und 19. Nur André Schürrle (20 Jahre, 182 Tage) und Jean-Philippe Mateta (23 Jahre, 118 Tage) erreichten in Mainz diesen Wert in jüngerem Alter als Burkardt (23 Jahre, 249 Tage).

“Da es das erste Mal ist, dass ich in dieser Saison bei einem Mainzer Sieg auf dem Platz stand, ist einiges von mir abgefallen. Ich bin einfach überglücklich, dass wir gewonnen haben”, resümiert der Doppeltorschütze, der nach dem Abpfiff in den Fanblock kletterte, um das Fastnachtslied “Humba Täterä” anzustimmen. Beim 2:0 gegen RB Leipzig Anfang November befand er sich noch im Aufbautraining, beim 1:0 gegen den FC Augsburg Mitte Februar fehlte er wegen eines Infekts.

Das Trainerteam hatte Burkardt und Nadiem Amiri als mögliche Elfmeterschützen auserkoren, nachdem es die Mannschaft am Vortag noch einmal geübt hatte. “Nadiem ist für mich einer der besten Elfmeterschützen überhaupt, und Jonny hat heute die Verantwortung übernommen. Das ist der Mut, den ich sehen will, es ist genau das, was wir in unserer Situation brauchen. Jonny ist einer unserer Signal Player (wichtigsten Spieler), die vorangehen”, schwärmt Trainer Bo Henriksen von Burkardt, der in den drei jüngsten Spielen drei Tore erzielte.

Michael Ebert